Anpassungsfähigkeit

Als Frau Hein mich bat, über Anpassungsfähigkeit zu schreiben, ging mir erstmal durch den Kopf, was Anpassungsfähigkeit nicht ist. Wir Übersetzer neigen nämlich dazu, einen Begriff von allen Seiten zu beleuchten, Definitionen zu suchen, gleiche und gegensätzliche Bedeutungen abzuklopfen und uns vor allem den Kontext anzusehen, um auch keine Nuance zu übersehen.

Auf meiner Kontra-Seite steht also: die Vorstellungen anderer erfüllen zu wollen und sich dafür selbst zu verbiegen. Seinen Körper zu bekämpfen, weil man einem Schönheitsideal nachläuft, obwohl man es auf gesundem Weg nicht erreichen kann. Mit dem Strom zu schwimmen und keine eigene Meinung zu haben. Oder aus falsch verstandener Rücksichtnahme gegenüber Andersgläubigen eigene Sitten und Traditionen abzulegen.

Möglicherweise ist Anpassungsfähigkeit für jeden etwas anderes. Durch die Erfahrungen, die jeder von uns gemacht hat, und unsere jeweiligen Lebensumstände. Bestimmt fallen Ihnen noch weitere Bedeutungen ein.

Für mich besteht sie in erster Linie darin, das Leben mit seinen Höhen und Tiefen anzunehmen. Neues unvoreingenommen auszuprobieren. Nicht zu verzweifeln, sondern einen Plan B zu haben, wenn sich ein Lebenstraum nicht zu erfüllen scheint. Aber genauso Glück und Freude zuzulassen, wenn es einem nach schweren Zeiten wieder gut geht, und nicht mit Vergangenem zu hadern. Sich bei all dem aber gleichzeitig immer treu zu bleiben. Ich glaube daran, dass wir es zu einem großen Teil selber in der Hand haben, ob wir uns als Opfer der Umstände fühlen, stolz auf uns sind, dass wir eine schwierige Situation mehr oder weniger unbeschadet überstanden haben, oder sie sogar als Chance begreifen, etwas zu ändern.

Daneben ist Anpassungsfähigkeit aber auch der Respekt vor den Sitten eines Landes, in dem man zu Gast ist. Für mich als Sprachmittler ist die Sprache dabei natürlich der Dreh- und Angelpunkt, der die andere Kultur erschließt und gegenseitiges Verstehen ermöglicht, egal, ob als Ausländer in Deutschland oder als Deutscher im Ausland. Frei nach dem Werbe-Slogan eines großen schwedischen Möbelhauses wohnt man sonst nur, lebt aber nicht.

Und schließlich ist sie noch die Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse eines anderen, das Schließen von Kompromissen. Gerade erlebe ich die für mich schönste Form der Anpassung. Ich muss meinen Alltag, der bisher der durchgetaktete Arbeitstag einer Freiberuflerin war, an den Rhythmus meines kleinen Sohnes anpassen und mich an eine neue Langsamkeit gewöhnen.

Anpassungsfähigkeit ist für mich eng mit Resilienz, Akzeptanz, Neugier und Aufgeschlossen­heit, Respekt und Rücksichtnahme verbunden. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine herrlich angepasste gute Zeit!

Herzlichst
Gabriele Klein